Drogenbesitz: Zeugen statt Beschuldigte
Die geplante Novellierung des Suchtmittelgesetzes zwinge Konsumenten, ihre Quellen preiszugeben und sich den Auflagen des Amtsarztes zu fügen, kritisieren Juristen
Autor: Michael Matzenberger, derStandard.at
Wien – Die geplante Überarbeitung des Suchtmittelgesetzes wirkt zunächst wie ein Signal Richtung liberalerer Drogengesetzgebung: Besitz und Konsum illegaler Rauschmittel werden straffrei gestellt, solange der Erwischte den bloßen Eigenbedarf glaubhaft machen kann. Das betrifft neben Konsumenten von Cannabis und von Drogen wie Ecstasy oder Kokain auch Heimerzeuger ohne Bereicherungsabsicht.
Wer in Zukunft mit einer geringen Menge gefasst wird, muss nach den Plänen von Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) nicht wie bisher mit einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und einem Eintrag im Suchtmittelregister rechnen. Verantwortlich wäre dann allein die Bezirksverwaltungsbehörde als zuständige Gesundheitsstelle. Nur den Deliquenten, die die amtsärztlichen Auflagen missachten, drohen strafrechtliche Folgen. Wer sich aber fügt, entkommt einer Strafanzeige.
Schärfere Waffen gegen Produzenten
Geht der gerade begutachtete Gesetzesentwurf durch, so könnten die Strafverfolgungsbehörden dennoch schärfere Waffen im Kampf gegen Drogendelikte erhalten: Ertappte Konsumenten wären dann nämlich keine Beschuldigten mehr, sondern Zeugen. Und als solche haben sie kein Aussageverweigerungsrecht.
Beschuldigte müssen heute weder sich noch andere belasten. Im Zweifel genügt der Hinweis, die Substanz bei einem Unbekannten gekauft zu haben. Als Zeugen aber müssten Betroffene künftig ihre Quellen gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft prinzipiell preisgeben. Wer hier lügt, riskiert ein Strafverfahren wegen falscher Zeugenaussage.
Den Dealer ans Messer liefern
Die Juristen Gottfried Hudl und Martin Feigl, die für den Verein Take Your Rights Klienten vor allem bei Drogendelikten vertreten, schreiben in einer Analyse des Gesetzesentwurfs: "Das heißt, dass der Konsument in Zukunft seinen Dealer ans 'Messer' liefern muss. Denn durch den Erwerb der Drogen hat der Konsument wahrgenommen, wie ein anderer, nämlich der Dealer oder Erzeuger, eine Straftat begangen hat."
So könne die Polizei künftig sämtliche verdächtigen Konsumenten als Zeugen befragen, was jetzt nicht möglich ist. Die Druckmittel könnten wesentlich einfacher erhöht werden, heißt es in der Erläuterung: "Erfahrungsgemäß reicht meist bereits die Drohung mit einer Anzeige, und die Betroffenen kooperieren aus Angst vor einer möglichen Strafe."
Amtsarzt entscheidet über Wohl und Wehe
Außer dem Entfall einer automatischen Anzeige an die Staatsanwaltschaft sehen die Juristen keine konkrete Optimierung in der Novelle. Und selbst diese Änderung sei nur kosmetischer Natur – denn schon jetzt hält Paragraf 35 des Suchtmittelgesetzes die Staatsanwaltschaft an, ein eingeleitetes Verfahren einzustellen, unter anderem wenn Eigengebrauch begründet wird und der Amtsarzt dem Beschuldigten Kooperationsbereitschaft bescheinigt. Kooperation, das sind meist Harntests während einer ein- bis zweijährigen Probezeit.
Bei Ersttätern, die nur mit Cannabis erwischt wurden, muss der Staatsanwalt das Verfahren seit 2011 sogar zurücklegen, auch wenn sie die Zusammenarbeit mit der Gesundheitsbehörde verweigern. Mit dem neuen Entwurf solle "nun wieder jeder gelegentliche Cannabiskonsument zum Amtsarzt geschickt werden. Dieser würde in Zukunft de facto unüberprüfbar über Wohl und Wehe jedes Konsumenten entscheiden", schreibt der Bregenzer Fachjurist Gebhard Heinzle in einer Stellungnahme.
Mehr Bürokratie statt Verfahrensstraffung
Weil künftig auch die Möglichkeit entfalle, amtsärztliche Ladungsbescheide auf juristischem Weg zu bekämpfen, würden die zwangsweisen Untersuchungen mit dem geplanten Gesetz deutlich zunehmen, schlussfolgern Hudl und Feigl.
"Wenn jeder, gegen den ein Anfangsverdacht besteht, zum Amtsarzt geschickt wird, führt dies mit Sicherheit zu einem Aufblähen der 'Amtsarzt-Bürokratie'", so Heinzle. Statt jährlich mit 5.000 Fällen sei mit 15.000 Fällen und mehr zu rechnen. Das würde dem eigentlichen Sinn des Gesetzesentwurfs widersprechen, der laut Johanna Schopper, der Bundesdrogenkoordinatorin im Gesundheitsministerium, in der "Verfahrensstraffung" liegt.
Vorwurf eines politischen Manövers
Vor einer "Teilentkriminalisierung" von Drogen warnt FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan in Hinsicht auf das geplante Gesetz. Die Juristen von Take Your Rights sehen darin eher ein politisches Manöver mit einer anderen Stoßrichtung: "Man beruhigt die Sozialistische Jugend, die Grünen und andere Kritiker der geltenden Rechtslage. Die Konsumenten haben aber weiterhin eine Strafverfolgung zu befürchten, wenn sie Drogen konsumieren. Zwar scheinen in der Statistik künftig wesentlich weniger Anzeigen auf, der Betroffene hat davon jedoch wenig. Die Drogen werden beschlagnahmt, und er muss nach wie vor zum Amtsarzt."
Das erhärte auch die grundlegend falsche Annahme, dass jeder, der etwa gegen die "Cannabisprohibition" verstößt, krank und "ärztlich behandlungsbedürftig" sei, sagt Heinzle. Vor allem vor dem Hintergrund mehrerer hunderttausend alkoholabhängiger Menschen in Österreich hält er diese "gesundheitspolizeiliche Sorge" für vorgeschoben.
Die Begutachtungsfrist für die Novelle des Suchtmittelgesetzes endet mit 24. April. In Kraft treten könnte die neue Variante mit Jahresbeginn 2016.
Wozu braucht man einen Anwalt?
Eine unterschriebene Aussage ist ein entscheidendes Beweismittel. Weicht der Beschuldigte später von der getätigten Aussage ab, wird ihm in der Regel kein Glauben mehr geschenkt.